Der heute in der FAZ erschienene Artikel des VG Media Geschäftsführers Markus Runde ist zwar explizit als Debattenbeitrag gekennzeichnet, aber in seiner Gesamtheit ein faszinierender und abstoßender Einblick in eine völlig unbekannte Welt, in der tapfere Helden „Freiheit und Grundrechte gegen die Digitalisierer“ verteidigen.

Ich weiß gar nicht, was mich bei diesem Elaborat mehr irritiert: Der Pathos, wenn er von der Digitalisierung zur Leibeigenschaft kommt.

Die Unredlichkeit, wenn er mit ein Zitat von Eric Schmidt bearbeitet: Im (immerhin ordentlich verlinkten) Zitat ist der Einstieg der folgende:

SPIEGEL: Herr Schmidt, wann haben Sie sich das letzte Mal selbst gegoogelt?

Schmidt: Das mache ich nie. Ich lebe lieber selbstbestimmt, als dass ich mich von anderen definieren lasse.

Herr Runde macht daraus:

Haben wir diesen Unternehmern unsere Stimme gegeben, Eric Schmidt von Google etwa – der auf die Frage eines Journalisten des „Spiegels“ am 7. Juni 2014, „wann er“, Schmidt, „sich das letzte Mal gegoogelt habe“, wörtlich antwortete: „Das mache ich nie, ich lebe lieber selbstbestimmt, als dass ich mich von anderen definieren lasse.“?

Das suggeriert (auch da das Wort „selbst“ so kunstvoll unter den Tisch gefallen ist, das man es nur bei genauerem Hinsehen findet) dass googeln der Angriff auf Selbstbestimmung ist, nicht die dabei gefunden Ergebnisse und Meinungen. Was gemeint ist kann man beim Spiegel gleich in der nächsten Antwort nachlesen: „Das hätte ich lieber nicht gewusst. … Derart uninformierte Kritik kann man ignorieren, aber auf clevere Kritik sollte man hören.“

Das (leider übliche) Unterscheiden zwischen dem aufgeklärten Menschen, der „im Bewusstsein der dauernden Überwachung und Verwendung der Daten über ihn“ lebt und dem einfachen Pöbel (Entschuldigung, es muss „der unaufgeklärte Mensch“ heißen. Er zeichnet sich dadurch aus, „alles zur Verfügung [zu stellen], ohne die Auswirkungen zu erfassen“). Die Trennlinie zwischen aufgeklärt und unaufgeklärt verläuft gefühlt an der Meinung und Interessenlage des Autors.

Wenn er dann den bösen Digitalunternehmern vorwirft, sie hätten nicht „die großen Probleme der Menschheit, etwa im Bereich der Medizin, der Umweltverschmutzung, der Welternährung oder der Bildung gelöst“ und dass „die zusammengefügten Datensammlungen von Google, Facebook und Amazon […] den Krebs nicht niedergerungen, die Klimaveränderungen nicht aufgehalten“ haben kann man das meines Erachtens nur noch mit Frust über den Verlauf des Verfahrens VG Media gegen Google erklären.

Es folgt ein langer nur schwer lesbaren Teil, der sich eigentlich gut mit dem Zitat

Die Digitalunternehmer schaffen und instrumentalisieren die hohen Verständnisbarrieren, die zu überwinden sind, will man einen digitalen Vorgang nachvollziehen, und danach entscheiden, ob man ihn zulässt oder ihm entsagt

beschreiben lässt – nur das es hier der Autor ist, der die Verständnisbarrieren aufbaut, indem er sich möglichst kompliziert und mit einer hohen Dichte bedeutungsschwerer Worte („Fremdbestimmung“, „Imperativ“, „Auflösung unseres Verständnisses von einem menschlichen Leben in Würde“, „institutionelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen(?)“) ausdrückt. Schließlich kommt er zum Entschluss, dass diejenigen, die „noch mündig und vernunftbegabt“ sind (also ihm zustimmen, siehe oben) dringend einige Forderungen stellen müssten:

Dringend sei die „Auflösung des Vollzugsdefizites“ (das sind wohl wieder die erfolglosen Klagen wegen des eigentümlichen Leistungsschutzrechtes). Außerdem müsse bei jeder Suchabfrage ein Beipackzettel ausgegeben werden, mit allen Details zu Datenspeicherung und den Algorithmen (Bei Medikamenten wird der Beipackzettel mit allen Nebenwirkungen ja auch immer komplett durchgelesen – allerdings müssten da wohl um im Bild zu bleiben auch die Molekülstrukturen und die biochemischen Wirkmechanismen erklärt werden).

Schließlich müssten die Digitalunternehmer (ich mag das voreingenommen lesen, aber ich lese immer da immer nur Google, Apple und Facebook – mir scheint da ein schlüpfrige Pfad zu Godwin angelegt zu sein) immer dem Staat die Grundrechtsabwägungen überlassen. Selbstverständlich gibt es in seinem Beispiel nur „Apple in den Vereinigten Staaten“, die sich nicht an deutsches Recht halten. Wie es mit einem deutschen Nutzer beim Guardian oder einem türkischen Nutzer bei der faz.net aussähe ist dem Autor nicht der Rede wert – wer da der zuständige Staat und wessen Recht gilt wird nicht mal angerissen. Klar ist aber, dass ein solcher Benutzer echte Probleme hätte, denn unter dem Schlachtruf „Resozialisieren wir diese Digitalisierung in unsere Gesellschaftsordnung“ fällt auch

Wiederholt werden sollte der Grundsatz, dass jede Anwendung unserer Gesetze eine Zuordnung von personalem Verhalten voraussetzt. Diese Zuordnung ist nur möglich, wenn alle digital Beteiligten sich zu erkennen geben und Anonymität „im Netz“ nicht wie heute die Regel, sondern die zu begründende Ausnahme bleibt.

Schöne neue Welt der VG Media – ich hoffe, es bleibt eine absurde Parallelwelt.